Ich kanns nicht anders sagen, auch wenns selbstbeweihräuchernd klingt: ich liebe diesen Titel. Und tja nun, wie kam es zu den überbackenen Käsetretern? Hier fangen wir mal ganz am Anfang an. Am Anfang stand die Ausstellung im September 2024 und die Frage: was will ich zeigen und wie soll das aussehen? Hab ich was Spannendes zu erzählen und wenn ja, was?
Das deutsche Märchen, ein Hort für herrlichsten Grusel, Blut, also Jungfrauenblut, finsteren Wald und Aufklärungskampagnen jeglichster Sorte. ZDF History und Terra X mit Guido K. und Harald L. nullpunktnull. Diese wunderbare Art, Wissen über Raben, böse Königinnen, zarte Geislein, Wölfe und Jungfrauen weiterzugeben, elektrisiert mich einfach.
Kaminfeuer im Langhaus, die zahnlosen Großeltern lutschen am Lammknochen und erzählen von den Abenteuern ihrer zahnlosen Urgroßeltern.
Märchen, egal ob antquiert oder modern, sind Narrative, und gleichzeitig spiegeln sie das gedankliche Konstrukt einer jeweiligen Gesellschaft wider. Bilden Idendität und im besten Falle Zusammenhalt. Zeigen archetypische Inhalte und kollektives Unterbewusstsein mit pädagogischer Wirkung. Und das ist nun wirklich ein Brecher, eine Steilvorlage für meinen Kreativstrom. Ein fetter Brocken, ich wetze meine Messer.
Einführungsvideo 7+1/ © Nadja Schüller-Ost, 2024
Die Adaption eines Märchens ist ein herrliches Abenteuer für mich. Und das hier, dieses epische Schlachtfeld aus Neid, Gier und Blutrünstigkeit, hatte es mir besonders angetan. Zwei überaus komplexe Frauenfiguren bestimmen konsequent diese Handlung und das Leitmotiv der totalen Schönheit, die über Leichen geht, sowieso. Die Brandaktualität lässt sich flüssig in unsere Social-Media-Welt gießen. Ein Fest eben.
Und so stolpert Schneewittchen lässig in mein Blickfeld und macht sich breit in meiner Optik. Und eins muss ich hier noch unbedingt sagen: ich liebe unsere deutschen Märchen. Der Grusel, das Blut und der finstere Wald faszinieren mich einfach. Aber nicht nur das, sie geben auch einen tiefen Einblick in unsere deutsche Seele, und die ist ja bekanntlich düster, waldig und etwas humorlos. Warum habe ich dieses Märchen ausgesucht? Weil es düster, waldig und voller trickreicher Wendungen ist, eine Jungfrau, eine Domina, eine Hexe und sieben männliche Feen beherbergt plus einen schnippigen Spiegel – was für eine Kombi! Also, worum gehts in Schneewittchen und die sieben Zwerge? Es geht um die Jagd nach der ewigen Jugend, um Neid, Verrat, Gerechtigkeit, Unschuld und natürlich um die Liebe. Es geht um die ewigen, epischen Dauerbrenner des menschlichen Seins. Es geht also ums Ganze. Und wenn es ums Ganze geht, ist das für Künstlerinnen ein ganz ein fetter, riesiger Brocken. Ein gigantischer Leckerbissen, eine zwölfstöckige Sahnetorte. Also her mit der Forke, ich habe Hunger, nein, Appetit, dass ist schlimmer. Ich habe Appetit auf Jungfrauenmärchenblut und dem Fleisch von sieben Wichteln. Nein, wie immer will ich nur eine Geschichte erzählen, die es in sich hat!
Was dann folgt, ist eine deftige Story. Der Drang in mir, dieses Märchen einmal neu zu erzählen, war riesig und floß quasi ungebremst aus mir heraus. Die wirklich richtige Arbeit begann erst am Zeichentisch. Alle Figuren mussten der nun entstandenen Geschichte entsprechen und komplett neu erdacht und erschaffen werden.
Außerdem war es natürlich notwendig, dass die Figuren zur Technik passen. Zum linearen Linolschnitt, der ohne hell-dunkel Flächen auskommen muss. Diese Reduzierung war ein Wagnis, da ich alle Motive skizzenhaft auf den Druckstock übertrug und das narrative der Skizzen hin und wieder fast ins Abstrakte gleiten ließ. Ich traute es den Betrachtern schlichtweg zu, dass sie sich jede Menge Mühe geben würden, meinen bildhaften Erzählsträngen zu folgen. Auch wenn es wüst werden würde. Drucktechniken haben mich immer fasziniert. Von Anfang an war die Fülle an Möglichkeiten, ein Kunstwerk damit zu kreieren und bei jedem neuen Druck veränderrn und variieren zu können, ein herrliches bildnerisches Werkzeug. Immer wieder habe ich in den vergangenen Jahren verschiedene Drucktechniken aufgegriffen und mit ihnen gearbeitet. In 7+1 reizte mich die Vorstellung der Möglichkeiten einer flexiblen und unendlich veränderbaren Farbkombination, die ich je nach Auflage dieser Serie komplett modifizieren und immer neu farblich interpretieren kann.
work in Progress/ © Nadja Schüller-Ost/ 2024
Und so formte sich nach und nach der bildnerische Teil dieser sehr komplexen Herausforderung.
wo gehobelt wird, fallen Späne/ © Nadja Schüller-Ost/ 2024
im Rausch der Skizze/ © Nadja Schüller-Ost/ 2024
In wie viele Bildtafeln werde ich alles unterteilen, welche Teile des Textes illustrieren, und werden es nur „Illustrationen“ sein oder auch eigenständige Arbeiten, die losgelöst vom Text, existieren können? Ich hatte mich für einen Mix entschieden, damit alles nachvollziehbar bleiben konnte.
die Mitwirkenden/ © Nadja Schüller-Ost/ 2024
Und gleichzeitig hatte ich diese Vision vor mir, wie alle Bildtafeln gedruckt in Reih und Glied im Block in Rot, Schwarz und Weiß an der Wand hängen würden. Auf Neudeutsch: ich visualisierte fokusiert das Endergebnis. Das war wie der Handlauf einer in sich verschachtelten Treppe. Egal was ich in diesen Zusammenhängen tat, ich brauchte nur das Endergebnis zu visualisieren: Jeder Schritt war so vorgegeben, auf diese Art und Weise. Einfach und zugleich komplex. Ich schwamm in meiner eigenen Brühe, in meinem Sud in einem riesigen Topf! Ich muss sagen, ein hammergeiles Adventure, Brudi! Ich habe es in vollen Zügen und zu jeder Zeit genossen.
Zeit ist Geld/ © Nadja Schüller-Ost/ 2024
Und dann begann ich die Platten zu drucken. Vorher hatte ich mir sehr genau überlegt, auf welches Material ich drucken wollte. Auf keinen Fall Papier, dazu bräuchte ich wieder Rahmen, was mir zu statisch war. Der Block sollte atmen und praktisch an der Wand schweben, keine Seile und nicht zu dicht an der Wand.
Die Lösung war einfach: Ich drucke per Hand auf leinwandbespannte HDF-Platten. Das würde technisch gehen, allerdings mit einem hohen Kraft- und Geduldsaufwand. Zumal jede Platte noch mit einem roten Muster versehen werden sollte. Diese Farbe dazu entstand aus einem eigenen Mix und hatte wunderschöne Tücken. Sie kristallisierte stellenweise aus und trocknete an diesen Stellen massiv erhaben auf. Dort drüber per Hand zu drucken, war ein schweißtreibendes Abenteuer. Als Druckfarbe wählte ich eine ölbasierte Tiefdruckfarbe. Pigmentdicht, angenehm elastisch, von mir sehr oft erprobt und als 100-prozentig vertrauenswürdig abgespeichert.
erst das Eine, dann das Andere/ © Nadja Schüller-Ost/ 2024
Zwei Probedurchgänge und los gings. Bloß keine Zeit verschwenden, ins Vertrauen gehen und einfach machen. Die Kür hatte ich im Kasten, sechszehn weiße 50 x 60 cm große Leinwandplatten erstrahlten in Rot mit herrlichen Mustern. Das alleine war schon ziemlich griffig. Das musste ich nur im Zaume halten, die Muster nicht zu extrovertiert gestalten und das alles zu einem Ganzen schmieden. Mit Schwarz druckte ich die Druckstöcke auf die rotweißen Leinwandplatten, wie mit einem großen Netz, das alles zusammenhielt.
trocken hinter den Ohren/ © Nadja Schüller-Ost/ 2024
Wenn alle Platten nach circa zwei Wochen trocken sind, würde ich meine gekauften und auf Länge gesägten Holzleisten mit Holzkleber parallel oben und unten hinten auf die Platten kleben und bräuchte nur noch zwei Nägel in der Wand, um sie zum Schweben zu bringen.
Dann kam der Tag der Wahrheit. Ich war mir sicher, dass alles zu 100 Prozent so aussehen würde, wie in meiner Vorstellung. Und das die Sache mit den Nägeln auch komplikationsfrei laufen würde. Und genauso war es. Zu zweit hängten wir ruhig und rasch alle sechszehn Arbeiten auf. Und es war perfekt. Ämen, Ämen, Ämen.
Aufbau und Hängung/ © Nadja Schüller-Ost/ 2024
Nun hing, nein, schwebte der Block an der Wand, Ich war beruhigt und zufrieden. Und ich hatte künstlerisch auf mein Pferd „Rebellion“ gesetzt. „Schönheit“ würde ich wohl besser verkaufen. Merch für 7+1 hatte ich nicht geschafft. Ein No-go für eine Ausstellung, aber so ist es gelaufen. Mehr konnte ich nicht tun in dieser Zeit, außer dankbar zu sein, meine Vision an der Wand zu sehen und in den kommenden Tagen der Ausstellung die vielen, vielen Menschen zu beobachten, die gebannt die Geschichte in den Booklets lasen, die Querbezüge zum heutigen Leben erforschten, die Bilder enträtselten, viel lachten und miteinander über das, was sie da sahen, sprachen.
Hier der Link im Button zum E-Book:
„7+1 oder wie es zu den überbackenen BBQ Haxen kam“
Vernissageabend/ © Nadja Schüller-Ost/ 2024
Auch wenn die Basis „nur“ ein einfaches Märchen ist, das ich etwas umschrieb und adaptierte, so sind der Entstehungsprozess, die Umsetzung, der Text und auch die Bild- und Formensprache komplex, ziemlich witzig und vielschichtig.
How to BBQ/ © Nadja Schüller-Ost/ 2024
der Entstehungsprozess/ © Nadja Schüller-Ost/ 2024
kompletter Text/ © Nadja Schüller-Ost/ 2024
Kann Kunst die Welt verändern? Oder nur zum Sofa passen? Als scharfzüngige Beobachterin von Menschen und Systemen, erschaffe ich narrative Werke, die im Spannungsfeld von Schönheit und Provokation Missstände anzeigen, sowie soziale, politische oder wirtschaftliche Abhängigkeiten enthüllen.
Ich verstehe mich als selbstbestimmte Rebellin, deren Schaffen mit satirischem Realismus ebenso böse wie witzig, gesellschaftliche Defizite in den Fokus rückt. Emotionen und Widersprüchlichkeiten treiben mich an, sie mit Kunst zu reflektieren. Furchtlos öffne ich die Bodenplatte zum menschlichen Abgrund und begegne dem Menschen in seinen Stärken und Schwächen, tiefsten Sehnsüchten und dunkelsten Geheimnissen. Meine spät gewonnene Unabhängigkeit zelebriere ich, in dem ich die Vielschichtigkeit komplexer Verhältnisse zerlege und akribisch, auch in der Tiefe verborgene Schmerzpunkte, freilege.
Trotz der schonungslosen Konfrontation mit unbequemen Wahrheiten, sind meine farbgewaltigen Bildserien geprägt von Lust, Energie und unbändiger Erzählfreude. Dabei verknüpfe ich den intensiven, farbrythmischen Pinselduktus der Malerei mit dem expressiven Potenzial eines schattierenden und gleichzeitig kontrastierenden Cartoonstrichs. Diese kraftvolle Verbindung zeichnet meinen ganz eigenen Stil – den Macoon-Stil – aus.
Ich möchte, dass meine Kunst etwas im Betrachter bewegt, ihn aufwühlt. Sie soll ihm nicht mehr aus dem Sinn gehen, haften bleiben und nachwirken. Kunst muss für mich tiefe Emotionen auslösen, etwas anstoßen, dem man sich nicht entziehen kann.
Abbau der Ausstellung/ © Nadja Schüller-Ost/ 2024
Die Serie 7+1 ist der mittlere Teil, das Bindeglied des Zyklus „Weiberherrschaft“ und somit eingebettet in die Kollektion „Luziflux“. Und als so ein Scharnier hat man es an gleich zwei Enden mit Masse zu tun. Schwups schwinge ich also zur nächsten Serie, zur nächsten Ausstellung am 21. Mai 2025 wie Jane an der Liane. Die dritte Sequenz von „Weiberherrschaft“ ist den Superheldinnen gewidmet und natürlich der Frage, wozu wir die dringend brauchen. In „Adolphine und die fünf von der Tanke“ gehts nochmal richtig in die Eskalation. Ich freu mich drauf!
Eine Antwort
Was für eine wunderbare Adaption von Schneewittchen! Eine geniale Idee, den Blogartikel durch unterhaltsame Videosequenzen in kleine Häppchen zu unterteilen. So gibt es was für die Ohren und für die Augen.